Vereinte Perspektiven: Ein Miniaturrahmen in gemeinsamer Betrachtung

Ein Praxisprojekt von Elisa von Minnigerode und Katja Lorenz

Zu Beginn ihres Praxissemesters an der Hochschule für Bildende Künste Stuttgart (ABK) ergab sich für die Kollegiatin Elisa von Minnigerode die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der Studentin Katja Lorenz aus dem Studiengang Konservierung und Restaurierung von Gemälden und gefassten Skulpturen. Die ABK hatte durch die Vermittlung von Dr. Tilly Laaser eine Miniatur aus der Hand des deutschen Miniaturmalers Friedrich Brentel dem Älteren (1580–1651) von 1642 zur Untersuchung erhalten. Die Miniatur befand sich in einem Zierrahmen mit herausziehbarem Glas. Ziel der Zusammenarbeit war die Einordung und Einschätzung dieses Rahmens durch die Verbindung von kunsthistorischen und konservatorischen Methoden und Fragestellungen. Der interdisziplinäre Ansatz brachte die Perspektiven der verschiedenen Disziplinen zusammen und bereicherte so nicht nur die Diskussion, sondern erweiterte auch die Methodenvielfalt bei der Betrachtung des Objektes.

Eine weiße Kuh und ein schlafender Riese: Die Ikonographie

Die Miniatur aus privatem Besitz stellt eine Szene aus den Metamorphosen Ovids dar: Jupiter hatte sich in die schöne Io verliebt, was den Zorn der eifersüchtigen Juno zur Folge hatte. Um sie zu schützen, verwandelte Jupiter seine Geliebte in eine weiße Kuh. Juno, die jedoch von dieser List erfuhr, ließ Io nun vom hundertäugigen Riesen Argos bewachen. Jupiter entsandte Merkur, der eine List entwickelte, um Io zu befreien. Mit seinem Flötenspiel schläferte er den Riesen ein und schlug ihm den Kopf ab. Die Miniatur zeigt in der Bildmitte genau diesen Höhepunkt der Handlung: Argos, hier in Gestalt eines menschlichen Schäfers mit prominent-rotem Hut, hat die Augen schon geschlossen und schlummert, während Merkur seine Melodie auf der Flöte spielt. Links neben ihnen beobachtet Io, in Gestalt der weißen Kuh, die Einschläferung. Komplettiert wird die Handlung durch eine simultane Szene im Bildhintergrund. Hier hat Merkur, dieselbe Kleidung wie im Vordergrund tragend, dem Riesen bereits den Kopf abgeschlagen und hält ihn in der linken Hand. Der Riese Argos liegt kopflos und nackt zu Merkurs Füßen. Gegenüber von Merkur ist Juno zu sehen, erkennbar an ihrem Attribut, dem Pfau, und streckt die Hand nach Argos‘ Haupt aus. Die Szene ist in eine Waldlandschaft eingebettet. Zum rechten Bildrand hört die Baumgruppe auf und gibt die Sicht auf Berge und Gebäude frei, vor denen ein Fluss bis zum unteren Bildrand läuft.

Der Rahmen

Neben der feinen Malweise, wies sich die Miniatur auch durch den zugehörigen Zierrahmen aus, in den eine seitlich herausziehbare Glasscheibe eingelassen war. Es wurde angenommen, dass dieser Zierrahmen zum historischen Bestand der Miniatur gehörte. Katja Lorenz konnte zwar bei der Recherche zu ihrer Bachelorarbeit von den Besitzern erfahren, dass die aktuelle Glasscheibe erst Mitte des 20. Jahrhunderts eingesetzt wurde und zu diesem Zeitpunkt keine vorhanden war. Dies ließ jedoch immer noch grundlegende Fragen offen: War schon ursprünglich ein Glas eingeschoben? Oder ist es möglich, dass es sich zu diesem Zeitpunkt um keine Glasscheibe handelte, sondern, dass ein anderes Material eingeschoben wurde? Und wie lässt es sich ganz grundsätzlich erklären, dass die Miniatur einen Rahmen besitzt, der das Einlassen einer Glasscheibe o.Ä. zulässt?

Zum einen ließe sich die spezielle Rahmenkonstruktion durch konservatorische Gründe erklären. Es ist annehmbar, dass eine Glasscheibe zum Staub- und Lichtschutz für das Bild verwendet wurde. Genauso könnte sie als Schutz vor mechanischen Einwirkungen gedacht sein. Gleichzeitig ist aber auch eine Erklärung denkbar, die speziell auf das Dargestellte abzielt:

Denkbar wäre, dass anstelle eines Glases eine weitere Bildtafel eingelassen war, die das Dargestellte durch ein eigenständiges Bildelement komplettierte. Vor allem aus dem 15. und 16. Jahrhundert sind heute noch Miniaturen bekannt, die bewusst mit einem speziellen Rahmen ausgestattet waren. In diesen waren bemalte Schiebedeckel aus Holz eingelassen. Diese wurden also gezielt eingesetzt, um eine weitere Bedeutungsebene zu erstellen. So wurde auf diesen Bildtäfelchen zum Beispiel auf den Auftraggeber mit dessen Wappen verwiesen, oder ein religiöses Motiv durch eine weitere Szene ergänzt. Ein heute noch prominentes Beispiel aus der Hand Albrecht Dürers zeigt das Bildnis des Patriziers Hieronymus Holzschuher. Hier ist der spezielle Rahmen mit einem hölzerneren Schiebedeckel versehen, auf dem die Familienwappen des Porträtierten zu sehen sind.

Der in diesem Beispiel im Rahmen eingelassene Deckel funktioniert also als Ergänzung des Porträts und fordert außerdem eine aktive Rezeptionssituation heraus. Die kleinformatige Miniatur muss in die Hand genommen und der Schiebedeckel zur Seite geschoben werden, damit das Porträt sichtbar wird. War auch bei der Brentel Miniatur ein Familienwappen oder ähnliches auf einem Bildtäfelchen in den Rahmen eingelassen, etwa mit Bezug auf Ovids Metamorphosen? Natürlich gingen hier Dargestelltes und der Schutz des Bildes Hand in Hand: Eine bemalte Bildtafel hätte die feine Malerei Brentels genauso vor Licht und weiterem geschützt, wie sie die Malerei durch ein weiteres Bild ergänzt hätte.