Titelbild "Projekt Corpus Strigel" © Dr. Anna Moraht-Fromm.

Projekt „Corpus Strigel – 100 Jahre“

Projekt „Corpus Strigel – 100 Jahre“

 

Die Künstlerfamilie Strigel war über mehr als 100 Jahre und drei Generationen hinweg eine in Memmingen (Oberschwaben) überaus produktiv wirkende Maler- und Bildschnitzerfamilie, deren Werke religiösen Sujets nicht nur lokal breiten Absatz fanden, sondern bis nach Österreich, Italien und in die Schweiz, respektive Graubünden, exportiert wurden. Der schweizerische Kanton Graubünden bietet bis heute eine außergewöhnliche Dichte an erhaltenen Retabelwerken aus der wohl produktivsten Schaffensphase der Werkstatt unter der Leitung von Ivo Strigel.

Die frühere Reichsstadt Memmingen war neben Augsburg, Konstanz, Überlingen oder Hall zu einem der bedeutendsten Handelsplätze im süddeutschen Raum aufgestiegen, in der die Familie Strigel nahezu uneingeschränkt und ohne größere Konkurrenten ihre Werkstatt betreiben konnte. Im spätgotischen Kunstbetrieb Schwabens war ihr Unternehmen das beherrschende künstlerische Zentrum der Stadt und des Umlandes.   
Als Stammvater dieser Werkstatt gilt der Maler Hans Strigel der Ältere (*um 1400 in Memmingen(?) - † März/Juni 1462 ebd.). Mit seiner Frau Anna hat er sechs Kinder (Petrus, Ivo und Hans sowie Anna, Ursula und Agatha), von denen Ivo (*1430/31 Memmingen -  17.8.1516 ebd.) nach dem Tod des Vaters und vermutlich gemeinsam mit seinem Bruder, dem Maler Hans dem Jüngeren (ab 1450 nachweisbar in Memmingen – † um 1485 ebd.), die Werkstatt weiterführt und zu einem florierenden Unternehmen ausbaut. Unklar ist bis heute, ob Ivo nur Maler oder auch Bildschnitzer war. Eine Doppelzünftigkeit darf aber angenommen werden, insbesondere in einer Werkstatt, die beide Gewerke bedienen konnte und wollte. In Anbetracht des erhaltenen Retabelbestandes in Graubünden wird deutlich, dass Ivo aufgrund einer - auch zeittypisch - besonders guten Auftragslage wechselnde Mitarbeiter – Maler wie Bildschnitzer – aus anderen Städten und Gebieten unterverdingte, um seinen Aufträgen nachkommen zu können.            

Bernhard Strigel, in der älteren Forschungsliteratur Meister der Sammlung Hirscher genannt, ist der letzte Spross dieser Künstlerdynastie (*Memmingen 1460 – † ebd. 1528). Seine erste Ausbildung erhält er in der väterlichen Werkstatt, worauf auch sein Frühwerk verweist. Überwiegend tätig in Memmingen, mehren sich insbesondere nach dem großen Auftrag für die Benediktiner-Klosterkirche in Blaubeuren (1493/94), die Aufgaben für die großen Kirchen und Klöster Schwabens (Ottobeuren, Schussenried, Isny, Buxheim, Salem, etc.). Genauso erfolgreich wird Bernhard aber auch als Bildnismaler, als der er – vermutlich auf Vermittlung Johannes Cuspinians – in den Dienst Kaiser Maximilians trat und für diesen verschiedene Porträttypen entwickelt. Schon bald wird er begehrter Porträtist, nicht nur des kaiserlichen Hauses und hohen Adels (er selbst nennt sich in einer Inschrift von 1520 Hofmaler Maximilians), sondern auch des bürgerlichen Patriziats.
Geschult noch ganz in der spätgotischen Tradition, steht Bernhard Strigel – insbesondere durch seine Portraitkunst - an der Schwelle zur Neuzeit. Als jüngster und letzter Maler seiner Familie entwickelt er sich mit neuer Ausdruckskraft und erweiterten Kompositions- und Gestaltungsprinzipien zu einem der bedeutendsten Künstler der Renaissance, nicht nur in Schwaben. 

Zielsetzung des Projekts „Corpus Strigel – 100 Jahre“

Seit Erscheinen der nach wie vor gültigen Grundlagenarbeiten Gertrud Ottos oder Edeltraud Rettichs in den 60er Jahren ist, trotz zahlreicher, auch tragfähiger Einzeluntersuchungen, nie wieder der Versuch unternommen worden, diesen außerordentlich umfangreichen Bestand den heutigen wissenschaftlichen Standards entsprechend aufzuarbeiten und zugänglich zu machen. Mittlerweile hat sich die Zahl der Werke, die im Zusammenhang mit der Memminger Werkstatt gesehen werden müssen, nahezu verdoppelt.

Die Zeit ist reif, das Werk dieser bedeutenden Künstlerfamilie neu zu überdenken und zu erforschen.  
Nach langjährigen Untersuchungen zur altdeutschen Tafelmalerei (1350-1550), insbesondere aber nach dem DFG-finanzierten Projekt zum Hochaltar-Retabel der ehemaligen Benediktinerklosterkirche in Blaubeuren (2003), assoziiert am Landesmuseum Württemberg, aber auch nach den Forschungen zu dem in Ulm und Memmingen tätigen Hans Maler von Ulm, Maler zu Schwaz (2014-2017) entwickelte Dr. Anna Moraht-Fromm (Kultur- und Bildwissenschaft, Berlin) die Idee eines Datenbank-Projektes, welches die digitale Erfassung des gesamten Werkes der Strigel-Familie zum Ziel hat. Lisa Braun wird sich hierbei - im Rahmen ihres Praxisprojektes II - mit den Bündner Retabeln aus der Werkstatt Ivo Strigels auseinandersetzen und durch ihre Mitarbeit die Weiterentwicklung der Datenbank unterstützen.
Die ausgesprochen umfangreiche Materialmenge, die sich bereits durch die bloße Erfassung der objektiven Tatbestände ergibt, wird individuell zu verschlagworten sein und ganz neue Fragestellungen zu dieser über drei Generationen hinweg aktiven spätgotischen Werkstatt erlauben.